Wie „Balu und Du“ an der Harkenberg Gesamtschule junge Menschen stärkt
Mentoring als Unterrichtsprojekt? Sonja Schoo, Lehrerin an der Harkenberg Gesamtschule Hörstel, zeigt mit ihrem Pädagogik-Projektkurs, wie das geht. Mit „Balu und Du“ begleiten Oberstufenschüler:innen Grundschulkinder als Mentor:innen – und wachsen dabei selbst über sich hinaus. Im Interview erzählt Sonja Schoo, warum das Programm nicht nur für die Moglis, sondern auch für die Balus und die gesamte Gesellschaft ein Gewinn ist.
“Begeisterung für das Projekt”: Sonja Schoo. Foto: Zoomart / privat
Seit dem Schuljahr 2022/2023 führen Sie mit dem Pädagogik-Projektkurs der Oberstufe an der Harkenberg Gesamtschule Hörstel das Projekt „Balu und Du“ durch. Was hat Sie dazu bewogen, das Mentorenprogramm an Ihre Schule zu holen?
Sonja Schoo: Das erste Mal von „Balu und Du“ habe ich im Zuge meines Lehramtsstudiums erfahren. Ich fand die Idee schon damals spannend, war mit meinem Studium aber so ausgelastet, dass ich mich zu der Zeit nicht weiter damit beschäftigt habe.
Als ich dann für meinen Pädagogik-Projektkurs in der Oberstufe einen stärkeren Praxisbezug schaffen wollte, bin ich bei meinen Recherchen erneut auf das Projekt gestoßen. Mit Unterstützung des Balu und Du-Vereins konnte ich schnell herausarbeiten, wie es sich an meiner Schule umsetzen ließe – und damit auch meine Schulleitung überzeugen. Ich habe großes Glück, eine Schulleitung zu haben, die neuen Projekten gegenüber grundsätzlich sehr aufgeschlossen ist. Ich glaube aber auch, dass meine Begeisterung für das Projekt ebenso ausschlaggebend war.
Woher kommt diese Begeisterung?
Schoo: Ich bin überzeugt, dass Mentoring einen großen gesellschaftlichen Beitrag leistet – sei es mit Blick auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt, die Bildungsgerechtigkeit oder auch Teilhabe. Mentoring kann Brücken bauen. Ich denke, wenn Menschen miteinander in Kontakt kommen, entwickeln sie Verständnis füreinander und das stärkt den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Das ist umso wichtiger in Zeiten, in denen Gesellschaften zunehmend gespalten sind und auseinanderdriften.
Entscheidend ist für mich aber auch, dass „Balu und Du“ gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht. Die Moglis können durch die regelmäßigen Treffen mit ihrem Balu Erfahrungen machen, die sie ohne das Projekt möglicherweise nicht machen könnten, weil ihren Familien die notwendigen finanziellen oder soziokulturellen Ressourcen fehlen.
Gleichzeitig leisten die Balus aktiv ehrenamtliche Arbeit. Natürlich nehmen sie am Projekt im Rahmen ihres Projektkurses teil, aber sie haben sich freiwillig für den Kurs entschieden und treffen sich in ihrer Freizeit mit ihrem Mogli. Ehrenamtliches Engagement ist für eine funktionierende Gesellschaft immens wichtig. Es gibt so viele Bereiche, in denen der gute Wille der Menschen entscheidend ist – und die Balus machen dabei auch wertvolle Erfahrungen.
Was macht die Ausbildung der Balus im Rahmen des Pädagogik-Projektkurses aus?
Schoo: Ganz grundsätzlich haben die Balus sehr viel Gestaltungsspielraum und können den Kurs aktiv mitgestalten. Nach dem Einstieg, indem sie Informationen zum Projekt erhalten und wir die ersten Schritte besprechen, stehen vor allem ihre Fragen im Mittelpunkt, die sie aus ihrer Mentoring-Praxis mitbringen. Diese Offenheit hat bisher sehr gut funktioniert.
Hinzu kommen Präventionseinheiten: Der Kinderschutz hat für den Verein „Balu und Du“ höchste Priorität. Es ist daher von großer Bedeutung, die Schülerinnen und Schüler entsprechend zu sensibilisieren. Sie werden geschult, aufmerksam zu sein, sowohl hinzusehen als auch hinzuhören, und Kinderschutz sehr ernst zu nehmen. Das ist ein verbindlicher Bestandteil des Programms.
Ich stelle mir das sehr herausfordernd für die Schüler*innen vor, sich in einer Situation wiederzufinden, in der sie den Kinderschutz gefährdet sehen. An wen können sie sich dann wenden?
Schoo: Die erste Ansprechpartnerin für die Balus bin immer ich als Koordinatorin – und das wissen sie auch. Wenn sie mir eine E-Mail mit einem entsprechenden Betreff schreiben, reagiere ich in der Regel sofort. Da sich die Schülerinnen und Schüler im Rahmen des Projekts in soziale Situationen begeben, in denen viel Unvorhergesehenes passieren kann und die auch belastend sein können, ist es mir wichtig, präsent zu sein. Ich bin daher auch außerhalb meiner Unterrichtszeit erreichbar. Die Balus haben meinen Rückhalt und das sollen sie spüren.
Die Umsetzung klingt sehr anspruchsvoll. Wie gut lässt sich das Projekt in das System Schule integrieren?
Schoo: Es gibt mehrere Erkenntnisse, die ich in den vergangenen drei Jahren dazu gesammelt habe. Zunächst muss ich sagen, dass der Einstieg wirklich unkompliziert funktioniert hat. Ich habe großartige Unterstützung und umfangreiche Informationen vom Balu und Du-Verein erhalten – das hat den Start enorm erleichtert. Allerdings ist und bleibt Schule ein sehr starres System mit festen Stundenplänen, Zeitrastern und Klausurenphasen. Es ist eine Herausforderung, diese Struktur mit dem Projekt zu vereinen. Mit der Zeit habe ich jedoch gelernt, die Organisation dahinter zu meistern. Die Unterstützung durch den Verein war dabei unglaublich wertvoll, besonders der Austausch auf der „Balu und Du“-Jahreskonferenz. Das hat mir das Vertrauen gegeben, dass ich das alles gut handhaben kann.
Man muss allerdings auch ehrlich sagen, dass zu Beginn mehr Zeit in die Vorbereitung dieses Projektkurses geflossen ist als in die übliche Unterrichtsvorbereitung. Trotzdem: Aus meiner Sicht lohnt sich der zusätzliche Aufwand. Es ist ein sinnvolles Projekt mit so vielen positiven Effekten; nicht nur für die Moglis, auch für die Balus. Und das ist, was mich antreibt.
Welche Effekte zeigen sich denn bei Ihren Schüler:innen?
Schoo: Mir fällt jedes Jahr aufs Neue auf, dass die Balus, die zu Beginn des Kurses starten, ganz andere Menschen sind als diejenigen, die am Ende des Jahres den Kurs abschließen. Ich kann beobachten, wie sie selbstständiger, reifer und selbstbewusster werden, wie sie sich zu jungen Erwachsenen entwickeln, die in sozialen Situationen sicher agieren können.
Besonders zeigt sich das zum Ende des Jahres beim „Balu und Du“-Fest. Zu dieser Abschlussveranstaltung laden wir nicht nur die Balus und Moglis, sondern auch deren Eltern und ehemalige Balus aus vorherigen Kursen ein. Es ist ein schöner Abschluss, bei dem Ehrenamtsurkunden und Teilnahmeurkunden überreicht werden. Das Fest planen und organisieren die Balus selbstständig. Sie übernehmen ganz selbstverständlich die Verantwortung. Dabei merkt man auch, wie feinfühlig die Balus im Umgang mit sozialen Situationen geworden sind. Es ist wirklich rührend zu sehen, wie sie sich um ihre Moglis kümmern, sie durch die Schule führen und für eine herzliche Atmosphäre sorgen. Durch das Projekt entwickeln die Balus Soft Skills, die auch für ihr zukünftiges Leben von großer Bedeutung sind.
Nehmen die Balus diese positiven Effekte auch bei sich selbst wahr?
Schoo: Um das zu beantworten, möchte ich eine Schülerin zitieren. Sie hat im Rahmen der regelmäßigen Evaluation des Projektkurses Folgendes geschrieben:
„Ich würde anderen Schülern empfehlen, an diesem Projekt teilzunehmen, weil es für einen selbst eine schöne Zeit ist und man sich in der Gruppe unterstützt. Außerdem ist man für Grundschüler, die den Anschluss in ihrer Klasse verloren haben, eine wichtige Stütze. Man unterstützt somit die Kinder und freut sich mit ihnen, wenn sie Erfolge und Fortschritte beispielsweise in der Schule oder bei den Treffen machen.“
Auch wenn sich diese Aussage stark auf den Mogli bezieht, zeigt sie deutlich, dass die Balus selbst erkennen, welchen Einfluss sie haben. Sie erleben sich als unglaublich selbstwirksam. Und vielleicht passt genau das zu meiner Beobachtung, dass sie während des Projekts ein Stück weit erwachsen werden.
Sie haben es schon gesagt, Schule ist ein starres Konstrukt. Heißt das, dass es für den Projektkurs auch eine Note gibt?
Schoo: Ja, die gibt es; allerdings erst am Ende des Schuljahres – nicht bereits zum Halbjahr. Das sind die Vorgaben des Bildungsministeriums hier in NRW für Projektkurse. Ich musste mir daher Kriterien überlegen, nach denen ich die Leistungen der Schülerinnen und Schüler fair bewerten kann.
Als schriftliche Grundlage dient das Tagebuchtool, in dem die Balus dokumentieren, was sie während der Treffen mit ihren Moglis erlebt haben. Dafür habe ich ein Bewertungsraster entwickelt, das verschiedene Kategorien umfasst. Neben dem Tagebuch ist aber auch die Mitarbeit im Unterricht ein entscheidender Faktor. Hier achte ich darauf, wie engagiert die Balus sind, wie sie das Projekt und den gemeinsamen Unterricht vorantreiben und wie intensiv sie sich einbringen.
Vor dem Hintergrund Ihrer Erfahrungen mit „Balu und Du“, würden Sie die Programmteilnahme auch anderen Lehrkräften empfehlen?
Schoo: Ja, auf jeden Fall. „Balu und Du“ ist für mich ein absolutes Herzensprojekt. Es unterstützt nicht nur die Moglis, die unglaublich viele wertvolle Erfahrungen machen, sondern ebenso die Balus, die eine beeindruckende Persönlichkeitsentwicklung durchlaufen. Und letztlich profitiert auch die Gesellschaft davon. Das sind für mich die drei zentralen Aspekte, weshalb ich dieses Projekt uneingeschränkt empfehlen kann. Hinzu kommt, dass das Projekt aus fachlicher Perspektive den Schüler:innen wertvolle pädagogische Praxiserfahrungen ermöglicht. Es erweitert ihr theoretisches Fachwissen.
Darüber hinaus bereitet mir die Zusammenarbeit mit den Schülerinnen und Schüler persönlich unglaublich viel Freude. Man spürt den starken Zusammenhalt, der durch das Projekt entsteht. Für mich ist es auch eine perfekte Brücke zur Welt außerhalb des Schulgeländes: Die Schülerinnen und Schüler können sich aktiv in die Gesellschaft einbringen und etwas bewirken.
Natürlich gibt es die erwähnte Kehrseite; das Projekt erfordert Zeit, Ressourcen und eine sorgfältige Vorbereitung. Es bedeutet, den Mut aufzubringen, vom klassischen Unterricht abzuweichen. Aber ich kann aus Überzeugung sagen: Es lohnt sich. Der Stolz der Balus, die Freude der Moglis und die Dankbarkeit der Eltern zeigen mir jedes Mal aufs Neue, dass der Aufwand absolut gerechtfertigt ist.
Dies ist eine Pressemeldung des Balu und Du e. V., veröffentlicht im Internet, URL vom 12.03.2025: https://www.news4teachers.de/2025/03/mentoring-mit-herz-wie-balu-und-du-an-der-harkenberg-gesamtschule-junge-menschen-staerkt/