Franz Josef Hesse im Gespräch
Franz Josef Hesse, Leiter der Harkenberg Gesamtschule Hörstel, wird demnächst in den Ruhestand verabschiedet. Im Interview wird unter anderem deutlich, welche Bedeutung Schule auch für ihn persönlich hatte und hat.
Von Stephan Beermann
Hörstel · Dienstag, 18.06.2024 - 10:00 Uhr
Franz Josef Hesse, Leiter der Harkenberg Gesamtschule Hörstel, geht im Juli in den Ruhestand. | Foto: Stephan BeermannWie kaum ein anderer hat Franz Josef Hesse in den vergangenen 25 Jahren das schulische Leben der Stadt Hörstel geprägt.
Zunächst als Konrektor, dann als Leiter der Realschule, seit 2013 als Leiter der neu gegründeten Gesamtschule auf dem Harkenberg. In wenigen Wochen wird er in den Ruhestand verabschiedet. Im Interview blickt er zurück auf seine Zeit als Pädagoge und Schulleiter.
Ihre letzte entscheidende Station war die Gesamtschule. War dies der richtige Schritt?
Franz Josef Hesse: Ja, auf jeden Fall. Obwohl die Haupt- und Realschule wirklich gute Schulen waren, hätten diese beiden Systeme in Hörstel auf Dauer keine Zukunft gehabt. Und trotzdem, dann parallel eine Gesamtschule aufzubauen, ist mir dennoch nicht ganz leicht gefallen, weil faktisch war es so: Der Kapitän der Realschule verlässt als Erster das Schiff. Das kam nicht bei allen gut an. Für mich selber war das ganz sicher aber die richtige Entscheidung, denn eine Schule aufbauen zu dürfen, ist schon etwas ganz Besonderes. Die pädagogischen Konzepte und das Personal aussuchen zu dürfen, diese Möglichkeit erhält man nicht häufig. Und dann auch noch von der Stadt eine solch hervorragend ausgebaute und ausgestattete Schule zu bekommen, ist wirklich großartig! Bei den ganzen Baumaßnahmen hat die Stadt uns immer mit ins Boot geholt und unsere Wünsche fast alle erfüllt. Ich war überall dabei. Das hat neben der vielen Arbeit auch unwahrscheinlich viel Spaß gemacht.
Hat sich das Konzept der Gesamtschule bewährt?
Hesse: Ich bin im dreigliedrigen System groß geworden und war anfangs ein Verfechter dieses Systems. Heute jedoch bin ich ein völlig überzeugter Anhänger der Gesamtschule. Wenn man Bildungsgerechtigkeit möchte, kommt man an dem System „Gesamtschule“ nicht mehr vorbei. An unserer Schule sind alle Schülerinnen und Schüler herzlich willkommen. Von Anfang an haben wir das Konzept der Inklusion umgesetzt und auch die Integration der zugereisten Schülerinnen und Schüler ist für unsere Schule eine Selbstverständlichkeit.
Sie haben ja den Vergleich: Wie spiegelt sich das im Schulalltag?
Hesse: Bei uns an der Gesamtschule werden alle Schülerinnen und Schüler, egal welcher Herkunft und Hautfarbe, ob leistungsstark oder weniger leistungsstark, ob Schüler oder Schülerin mit oder ohne Förderbedarf, in einer Klasse unterrichtet. Unsere Schule ist bunt und lebt davon. Die Stärken und Schwächen werden wahrgenommen und akzeptiert. Diese Heterogenität ist für uns Lehrkräfte eine große Herausforderung, die wir aber gerne annehmen. Durch die Differenzierungsmaßnahmen an unserer Schule versuchen wir, allen Schülerinnen und Schülern gerecht zu werden.
Haben sich Schule und Schüler aus Ihrer Sicht geändert?
Hesse: Schule hat sich grundsätzlich geändert: Sie ist demokratischer geworden. Es gibt viel mehr, wo Schülerinnen und Schüler und Eltern eingebunden werden. Auch als Schulleiter kann ich Dinge nicht einfach vorgeben. Wenn ich etwas verändern möchte, brauche ich dafür die Zustimmung des Kollegiums, manchmal auch die der Elternschaft. In der Schülerschaft fällt leider auf, dass das Verhalten einiger Schülerinnen und Schüler in letzter Zeit in Richtung Respektlosigkeit zugenommen hat. Das macht mir ein bisschen Sorge. „Das ist aber wohl nicht nur ein schulisches, sondern ein gesellschaftliches Phänomen.“
Ein spezielles, aber wichtiges Kapitel dürften auch die Eltern sein, oder?
Hesse: Bei den Eltern erlebe ich ganz, ganz viele, die sehr gut mit uns mitarbeiten und auf deren Unterstützung wir zählen können. Es gibt aber auch Eltern, die glauben, dass für die Erziehung ihrer Kinder nicht mehr sie zuständig sind, sondern alles die Schule machen muss. Also, dass die Schule neben Wissensvermittlung auch ganz viel erziehen muss. Das machen wir auch gerne, sind aber nach wie vor auch auf diesem Gebiet auf die Zusammenarbeit mit dem Elternhaus angewiesen. Die Zusammenarbeit Schule - Elternschaft ist uns enorm wichtig. Funktioniert dies nicht, haben wir ein Problem. Wenn Eltern nicht mitarbeiten, kommen wir an unsere Grenzen. Man merkt es manchmal auch an der Beteiligung an Klassenpflegschaftsversammlungen oder an der Begleitung der Kinder zum ersten Schultag. Dazu ein Beispiel: Die 5er- und 6er-Klassen haben einen Pickdienst, die 7er- und 8er-Klassen den Mensadienst. Wenn dann Eltern meinen, mein Kind muss das nicht machen, dann wird es schwierig. Es ist einfach wichtig zu lernen, auch etwas für die Gemeinschaft zu tun.
Thema Digitalisierung der Schule - eher Fluch oder Segen?
Hesse: Man kommt einfach nicht daran vorbei. Wir würden gerne mit iPad-Klassen ab dem 9. Jahrgang starten, was allerdings mit einem großen finanziellen Aufwand verbunden wäre. Das können und wollen wir aber den Eltern nicht zumuten. Auch der finanzielle Spielraum der Stadt Hörstel ist kleiner geworden. Wir arbeiten zurzeit an einer praktikablen Lösung. Die weitere Entwicklung im Bereich der Digitalisierung müssen wir unbedingt im Auge behalten und darauf angemessen reagieren, zum Beispiel der Einsatz von KI, die Prüfungsformate, die Lernpläne. Da sind viele Bereiche betroffen.
Welche Schülerinnen und Schüler werden Ihnen im Gedächtnis bleiben?
Hesse: Auf jeden Fall die Namen der Schülerinnen und Schüler, die wegen Fehlverhaltens häufiger in mein Büro zitiert wurden … Ich ärgere mich immer wieder, dass die vielen Schülerinnen und Schüler, die sich echt engagiert für die Schulgemeinschaft einsetzen, viel weniger meiner Zeit und Aufmerksamkeit bekommen haben. Das war nicht gerecht und ärgert mich.
Was hat Ihnen am meisten Spaß gemacht?
Hesse: Mit Schülerinnen und Schülern zusammenzuarbeiten, die zu mir kommen und tolle Ideen haben, die wir dann gemeinsam umsetzen. Auch die Zusammenarbeit mit meinen Teams hat mir viel Freude bereitet. Mein Kollegium ist engagiert und motiviert und macht einen hervorragenden Job. Auch auf meine anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kann ich mich blind verlassen. Es gab tatsächlich noch keinen Tag, an dem ich nicht gerne zur Schule gefahren bin. Wer kann das schon von sich behaupten?
Halten Sie den Lehrerberuf noch für empfehlenswert?
Hesse: Ich wollte früher nie Lehrer werden. Ich bin es dann doch geworden und habe es nicht einen Tag bereut. Mit Schülerinnen und Schülern Kontakt zu haben, ist einfach ein Traum, obwohl die Rahmenbedingungen nicht leichter werden. Was man heute im Lehrerberuf braucht: Empathie, ein dickes Fell und ganz viel Humor. Auch Durchsetzungskraft, klare Ansagen und Regeln helfen immer. Die Schülerinnen und Schüler fordern das ein, auch wenn sie es nicht so direkt aussprechen. Wir müssen unsere Schülerinnen und Schüler fit machen, dass sie Freude am Lernen haben, und zwar am lebenslangen Lernen. Wenn wir das hinkriegen, haben wir ganz viel richtig gemacht.
Was können Sie zu Ihrer Nachfolge sagen?
Hesse: Es ist sehr wahrscheinlich, dass mein Stellvertreter auch mein Nachfolger wird. Aber das muss noch durch die letzten Gremien laufen - meiner Einschätzung nach ist das aber nur noch eine Formalie.
Ihre Pläne im neuen Lebensabschnitt?
Hesse: Ich habe keinen Plan, kein Wohnmobil, keinen Reisewunsch und das ist auch gut so. Mein Plan ist, keinen Plan zu haben. Ich freue mich auf das, was kommt, und ich bin sicher, es wird mir Spaß machen. Ganz besonders freue ich mich auf mehr Zeit mit meiner Familie und für meine Hobbys. Ich spüre, der Zeitpunkt aufzuhören, ist jetzt genau der richtige. Ich muss zugeben, dass das Schulleiter sein schon anstrengend sein kann. Daher bin ich froh, dass ich jetzt diese Aufgabe mit 65 Jahren in jüngere Hände abgeben kann. Für „meine“ Harkenberg Gesamtschule Hörstel wünsche ich mir, dass sie weiterhin bunt, offen, vielfältig und freundlich bleibt. Außerdem wünsche ich mir, dass die Stadt Hörstel diese Schule so gut unterstützt wie bisher. Natürlich wünsche ich mir auch, dass das Kollegium weiterhin mit so viel Einsatz und Freude an der Entwicklung dieser Schule arbeitet, die richtigen Antworten auf die neuen Herausforderungen findet, aber auch die gute Stimmung im Kollegium so bleibt wie sie ist. Und vielleicht noch zum Schluss ein Traum von mir: Alle Hörsteler Grundschulkinder melden sich nach der 4. Klasse an dieser guten Schule an …